Rimworld: Eine Early-Access-Erfolgsgeschichte
Rimworld erfreut sich seit Jahren riesiger Beliebtheit. Wie viele Indie-Titel nahm das Phänomen seinen Anfang als Kickstarter-Projekt und verbrachte dann viel Zeit im Early Access - wo es unzählige Spieler begeisterte. Was macht Rimworld so besonders?
Rimworld ist kein schönes Spiel. Mit gutem Willen kann man die grobschlächtige Optik als "zweckmäßig" durchgehen lassen (die visuelle Ähnlichkeit zu Prison Architect ist übrigens Zufall).
An der Grafik kann es also nicht liegen, dass 2013 fast 10.000 Spieler bereit waren, insgesamt etwa 200.000 US-Dollar auf Kickstarter für die Finanzierung von Rimworld vorzustrecken. In den fünf Jahren seit der erfolgreichen Kampagne gewann Rimworld immer mehr Freunde und Unterstützer: Laut der Datenbank Steamspy befindet sich das Spiel in der Bibliothek von mehr als einer Million Accounts. Die eindrucksvolle Anzahl Reviews auf Steam verrät ebenfalls, wie beliebt Rimworld ist: Über 37.000 Reviews, der größte Teil davon positiv. Die Spieldauer, welche bei den User-Wertungen ersichtlich ist, spricht ebenfalls eine eindeutige Sprache - dreistellige, gar vierstellige Spieldauerangaben sind keine Seltenheit. Dabei klingt die Beschreibung des Spiels klingt zunächst simpel und austauschbar: Baut eine überlebensfähige Kolonie auf einem fremden Planeten.
Um die Faszination von Rimworld zu verstehen, ist zunächst ein Umweg über drei andere Spiele nötig, die als Ideengeber dienten. Sicher kennt ihr Die Sims - eine Lebenssimulationsreihe, bei der es zwar gewisse Ziele zum Erfüllen gibt, die man aber nicht im herkömmlichen Sinne "gewinnen" kann. Der Weg ist das Ziel, die Geschichte entwickelt sich währenddessen. Rimworld-Schöpfer Tynan Sylvester nannte die sich in Die Sims ganz natürlich ergebenden Handlungsstränge als Inspirationsquelle für die AI-Geschichtenonkel, welche in der Indie-Simulation Rimworld die Fäden der Erzählung in den Händen halten. Als technische Vorlage für die Storyteller diente wiederum der AI Director aus Left 4 Dead (dt. Version): Die künstliche Intelligenz beeinflusst anhand mehrerer Parameter (die Gesundheit der Spieler, deren Treffsicherheit und mehr) Gegner-Spawns, den Schwierigkeitgsgrad und die Musikuntermalung. Kein Durchgang im Shooter soll durch den Director somit dem anderen gleichen.
Quelle: Ludeon Studios
Zwerge als Vorreiter
Der dritte Titel im Bunde der Inspirationsquellen heißt Dwarf Fortress - er dürfte deutlich weniger Spielern ein Begriff sein als Die Sims und Left 4 Dead (dt.). Um genau zu sein lautet der Name des Indie-Aufbau-Strategie-Simulations-Genremix Slaves Quelle: Bay 12 Games to Armok: God of Blood Chapter 2: Dwarf Fortress. Mit Rimworld hat Dwarf Fortress viel gemein: eine gewöhnungsbedürftige, minimalistische Optik, Anleihen aus zahlreichen Genres, eine Geburt als winziges Projekt, unterstützt von Spenden und eine per Zufall generierte Umgebung. Ihr kümmert euch um den Aufbau einer Festung - einer Zwergenfestung - und müsst dabei Invasionen abwehren, für das Wohl der Zwerge sorgen und dabei die Talente und Bedürfnisse der einzelnen Figuren berücksichtigen. Obwohl Dwarf Fortress so schwer zugänglich ist, prägte es eine Menge sehr erfolgreiche Spiele - darunter nicht nur der moderne Klassiker Minecraft, sondern eben auch Rimworld!
Aus diesen drei Zutaten mixte Tynan Sylvester ein Spiel, das er selbst in der Kickstarter-Kampagne als Geschichten-Generator beschreibt. Und das ist auch der Grund, wieso Steam-User hunderte Stunden in den Aufbau einer Siedlung auf einem fremden Planeten versenken. Zunächst entscheidet ihr euch für einen von drei "Geschichtenerzählern" für eure Kolonie - das ist quasi der Schwierigkeitsgrad. Cassandra Classic heißt die Dame, die als Standard-KI fungiert. Die Herausforderungen an eure Kolonie steigen sanft, aber stetig - ihr werdet in den ersten Tagen eures Aussiedlerlebens wahrscheinlich nicht von schwer bewaffneten Banditen überfallen, aber vielleicht greift euch ein wildes Tier an. Wer es ruhiger mag, wählt Phoebe Chillax. Zwischen Vorfällen habt ihr mit ihr viel Zeit zur Erholung und Planung eurer Siedlung. Der dritte Erzähler heißt Randy Random (auf Deutsch: Reiner Zufall) und er nimmt, ganz seinem Namen entsprechend, keinerlei Rücksicht auf den Zustand eurer Kolonie. Hier geht es nur um Drama - gut möglich, dass ihr von einer Katastrophe in die nächste steuert und am Ende eure Siedlung verliert. Aber: Diese Durchgänge sind wahrscheinlich sehr unterhaltsam!
Die unendliche Geschichte
Die dynamischen Ereignisse, hervorgerufen von den Geschichtenerzähler-KIs, kombiniert mit den randomisierten Siedlern und der Landschaft bewirkt, dass das Spielgefühl viel länger frisch bleibt als bei anderen Titeln. Durch die psychologischen Aspekte ist euer aktueller Wohlstand oft fragiler, als zunächst gedacht. Wenn der Partner eures Vorzeigearbeiters stirbt und dieser in eine Depression verfällt oder aus Trauer Amok läuft, wird das euer Koloniegefüge gehörig durcheinanderwirbeln. Natürlich hilft der Langzeitmotivation von Rimworld auch die Tatsache, dass das grundlegende Aufbauspielprinzip durchdacht und vielseitig ist - es gibt immer etwas zu verbessern, Zimmer zu verschönern, Abläufe zu optimieren. Und vergesst nicht die Vorbereitungen für die nächste Katastrophe, die euer AI-Geschichtenerzähler für euch bereithält!
Quelle: Ludeon Studios Ein episches Gut-gegen-Böse-Drama mit cineastische inszenierten Zwischensequenzen erwartet euch in Rimworld zwar nicht. Aber die kleinen Tragödien bleiben umso besser im Gedächtnis. Wie das eine Mal, als meine junge Kolonie - bestehend aus einem Sohn und seinem schon etwas gebrechlichen Vater - von einem verheerenden Kälteeinbruch im Herbst heimgesucht wurde. Danke, Cassandra! Meine Vorräte für den Winter sollten die Kartoffeln sein, die ich auf dem Feld neben meinem Haus angepflanzt hatte. Leider war von denen nur ein Bruchteil erntereif, als die Temperaturen sanken. Bei Schneefall, Minus 20 Grad und mitten in der Nacht entschied ich mich panisch, wenigstens einen Teil der Ernte zu retten, denn die Pflanzen fingen an, einzugehen. Warme Klamotten hatte ich noch nicht, ich riskierte also eine Erkältung oder Schlimmeres, als ich Vater und Sohn aufs Feld schickte.
Immerhin konnte ich etwa ein Drittel der Kartoffeln retten. Ich trug zwei Säcke ins Lager und ließ den Rest über Nacht auf dem Feld liegen - erst mal ab ins warme Bett. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, waren die Boom-Ratten, die am frühen Morgengrauen in Scharen über meine Kartoffeln herfielen und fast alles restlos auffraßen. Da die Biester explodieren, wenn man sie unter Beschuss nimmt und ich mich neben der drohenden Hungersnot nicht auch noch mit kokelnden Löchern in den Wänden meiner Behausung herumschlagen wollte, sah ich nur taten- und fassungslos zu. Das Ende meiner Vater-Sohn-WG war damit besiegelt, aber vergessen werde ich diesen tragikomischen Moment sicher nicht.
Mach dir die Welt, wie sie dir gefällt
Rimworld bietet dem Spieler unzählige Möglichkeiten, sich zu entfalten und durch die Mods wächst das Unterhaltungspotential weiter an. Eine gute Gelegenheit, sich mit User-Erweiterungen vertraut zu machen, wenn ihr bislang Hemmungen hattet! Dabei sucht ihr euch den Aspekt aus, den ihr an Rimworld besonders liebt und von dem ihr mehr wollt. Komplexere Gebäude? Mods! Ihr steht eher auf Farmen als auf kämpfen? Passt die Optionen an! Baut eine Armee auf, zieht herum anstatt sesshaft zu werden, siedelt am Pol der Spielwelt, esst Menschenfleisch, tut euch mit anderen Spielern zusammen - in Rimworld ist dank Mods (fast) alles möglich.
Diese Freiheit macht den Einstieg naturgemäß schwieriger als bei anderen Titeln, lernt man doch erst nach und nach die Mechaniken kennen und verstehen. Allerdings kann man ja auf den reichen Erfahrungsschatz der Spielergemeinde von Rimworld zurückgreifen. Im riesigen Wiki schlagt ihr Strategien nach, lernt die Eigenschaften verschiedener Stoffe, auf Youtube oder Twitch schaut ihr euch an, was andere Siedler mit ihren Kolonien treiben und wie es ihnen dabei ergeht.
Quelle: Ludeon Studios
Natürlich ist auch dem Engagement von Sylvester und seinem Team zu verdanken, dass Rimworld nicht nur eine äußerst erfolgreiche Early-Access-Zeit hinter sich brachte, sondern auch beim Release überzeugte. Beständige Updates, Verbesserungen und Fixes zeigen, dass sich das Team aktiv um die Wünsche und Sorgen der Community kümmert und dass es sich bei Rimworld tatsächlich um ein Herzensprojekt handelt.
Der Survival-Drama-Strategie-Simulations-Genremix ist auf dem besten Wege, neben anderen Spielen mit großem Namen und einfachen Ursprüngen (wie etwa Terraria und Minecraft), die trotz simpler Optik mit viel Tiefe und Langzeitmotivation aufwarten, in die Spielegeschichte einzugehen. Diese Ehre ist der Vorlage Dwarf Fortress übrigens schon ganz offiziell zuteil geworden: 2013 wurde es im Rahmen einer Ausstellung zur Geschichte der Videospiele im Museum of Modern Art in New York präsentiert. Jedes Update wird automatisch auf dem Server des Museums heruntergeladen und gesichert. Wie die Geschichte eurer Aussiedler-Kolonie in Rimworld ausgeht, das habt hingegen ihr alleine in der Hand. Na ja, nicht ganz. Cassandra Classic, Phoebe Chillax und Randy Random haben auch noch ein Wörtchen mitzureden.
Ausgenommen von Crusader Kings 2 kenne ich kein Spiel mit so viel Storytelling ohne Storytelling - Dinge ergeben und entwickeln sich einfach. Dabei sind, spätestens mit Mods, der Fantasie kaum Grenzen gesetzt - ich habe beispielsweise einst eine Kolonie aus vollkommenen Psychopathen geführt - da wurden Gefangene altersunabhängig und geschlechtsunabhängig ersteinmal "durchgereicht" um die sexuellen Bedürfnisse der Siedler zu stillen, dann die Organe zwangsentnommen (teilweise als Ersatzlager, teilweise für den profitablen Weiterverkauf), dann wurden sie solange misshandelt bis sie revoltierten nur um herauszufinden dass es kein Entkommen gab (5-fach Mauern drumherum) so dass sie sich in psychotischen Notzuständen letztendlich gegenseitig massakriert haben. Der/die Überlebenden wurden dann sediert, die gestorbenen Restgefangenen zu Nahrung verarbeitet und die Besten der Besten die mehrere "Gefangenenrevolten" überlebten wurden irgendwann rekrutiert und zu Wärtern gemacht. Man möge mir ein anderes Spiel nennen (ausgenommen CK2) welches solche moralische Freiheiten/Abgründe zulässt.
Ohne Mods wären solche Spiele einfach kein so großer Erfolg.
Sieht man ja oft bei den Paradox-Spielen, da kann so viel mit gemacht werden, das hält das Spiel länger frisch und man kann auch immer wieder mal was anderes versuchen.
Gutes Beispiel ist ja auch Skyrim. Das hält sich immer noch so gut, weil es einfach lustig verändert werden kann.
Bei Rimworld muss man aber auch sagen, dass die Entwickler wirklich einen guten Job gemacht haben und auch weiter dran arbeiten. Man merkt, dass der Herzblut drin steckt und nicht einfach nur eine "Auftragsarbeit" ist.